Morgenländisches Schisma

Morgenländisches Schisma

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I
Morgenländisches Schisma
 
Als am 16. Juli 1054 der päpstliche Gesandte Humbert von Silva Candida das Scheitern der Verhandlungen mit der byzantinischen Kirche dadurch dokumentierte, dass er auf dem Altar der Hagia Sophia eine Bannbulle gegen seinen Verhandlungspartner, den Patriarchen Michael Kerullarios von Konstantinopel, niederlegte, war Papst Leo IX., in dessen Auftrag Humbert die Verhandlungen geführt hatte, bereits tot. Obwohl diese Maßnahme für die westliche Kirche von zweifelhafter Bindungswirkung war, löste sie dennoch mit dem entsprechenden Gegenbann kurz darauf das Morgenländische Schisma zwischen der Ost- und Westkirche aus, das bis heute nicht überwunden werden konnte, wenn auch die Bannbullen 1965 aufgehoben wurden.
 
Dieses spektakuläre Ereignis erscheint als Ergebnis einer langen Entwicklung, die durch dauernde Spannungen und einen zunehmenden Entfremdungsprozess zwischen den beiden Kirchen geprägt wurde. Die Auseinandersetzungen gehen auf ein Dekret des Konzils von Chalkedon (451) zurück, das Konstantinopel nach Rom den zweiten Rang innerhalb der Patriarchalsitze zugebilligt hatte. Obwohl der damalige Papst Leo I. diesen Beschluss nie anerkannt hatte, setzte sich im Osten die Auffassung von der Sonderstellung des Patriarchen von Konstantinopel als Haupt der östlichen Christenheit durch. Zu diesem Konflikt um die Aufwertung der Kaiserresidenz Konstantinopel, der besonders im 9. Jahrhundert unter Papst Nikolaus I. zu schweren Spannungen und auch zu einem Schisma geführt hatte, kamen unterschiedliche Auffassungen im Dogma und in der Liturgie.
 
Ein wichtiger Streitpunkt war das »Filioque« (Ausgang des Heiligen Geistes vom Vater »und vom Sohn«), das die fränkischen Bischöfe zu Beginn des 9. Jahrhunderts ins Glaubensbekenntnis eingebracht hatten, das aber in der griechischen Kirche auf Widerspruch stieß. Weiter war von Bedeutung, dass im Osten den Klerikern - mit Ausnahme der Bischöfe - Eheverbindungen gestattet waren, während im Westen die Kirchenreform gerade den Kampf gegen die Priesterehe propagierte. Dazu kamen unterschiedliche Bräuche bei der Herstellung des eucharistischen Brotes, bei den Fastengewohnheiten sowie Abweichungen in Äußerlichkeiten wie die Barttracht der Priester im Osten, die den Entfremdungsprozess weiter förderten. Dennoch führten nicht die Bannbullen von 1054 zum endgültigen Bruch; es waren vielmehr vor allem die wirtschaftlichen und politischen Spannungen zwischen Byzanz und den italienischen Seestädten, die sich 1182 in einem Blutbad unter den Lateinern in Konstantinopel und 1204 in der Eroberung und Plünderung dieser Stadt entluden, die am Ende die dauernde Trennung der beiden Kirchen zur Folge hatten.
II
Morgenländisches Schịsma,
 
die auf das Jahr 1054 datierte Trennung zwischen der lateinisch-abendländischen (katholischen) Kirche und den vier ostkirchlichen Patriarchaten (Konstantinopel, Alexandria, Antiochia, Jerusalem). Sie war das Ergebnis eines über Jahrhunderte dauernden Entfremdungsprozesses, zu dem sowohl die politische und kulturelle Entwicklung als auch zunehmend dogmatische Differenzen (z. B. einseitige Einführung des Filioque und Gebrauch von ungesäuertem Brot bei der Eucharistie in der lateinischen Kirche), divergierende kirchenrechtliche und kirchendisziplinäre Gewohnheiten (Priesterehe, Fastenvorschriften) sowie die im Rahmen der gregorianischen Reform formulierten Primatsansprüche des Papstes beigetragen hatten. Der Konflikt spitzte sich zu, als es um die Frage der Jurisdiktion über die christianisierten Bulgaren, die Gebiete Süditaliens, Siziliens und des Erzbistums von Saloniki ging. 1053 reiste im Auftrag von Papst Leo IX. eine Delegation unter Leitung von Kardinal Humbert von Silva Candida zu Verhandlungen mit dem Patriarchen Michael Kerullarios nach Konstantinopel. Als keine Einigung zustande kam, legte Humbert am 16. 7. 1054 in der Hagia Sophia eine Exkommunikationsbulle gegen Michael nieder. Im Gegenzug bannte dieser die Verfasser der Bulle. Versuche einer Wiederannäherung, wie die Unionskonzilien von Lyon (1274) und Ferrara-Florenz-Rom (1438-45), blieben ohne Erfolg. Erst während des 2. Vatikanischen Konzils gaben am 7. 12. 1965 der Patriarch Athenagoras I. und Papst Paul VI. eine Erklärung ab, mit der sie die wechselseitige Exkommunikation »vergessen lassen wollten«. In der Folge verbesserten sich die Beziehungen zwischen den Kirchen, aus orthodoxer Sicht sind sie aber seit der Wiedererrichtung der unierten Kirchen in der Ukraine und in Rumänien 1989/90 erneuten Belastungen ausgesetzt. Beide Kirchen halten jedoch an dem 1965 eingeleiteten Dialog fest, wofür besonders die gemeinsame Erklärung Patriarch Bartholomaios' I. und Papst Johannes Pauls II. anlässlich des Besuches des Ökumenischen Patriarchen 1995 in Rom steht. Jüngster Ausdruck des Bemühens um die Wiederannäherung von katholischer und orthodoxer Kirche ist die »Gemeinsame Erklärung über die christlichen Wurzeln Europas«, die Johannes Paul II. und der Erzbischof von Athen und ganz Griechenland Christodoulos anlässlich des Papstbesuchs 2001 in Athen feierlich vortrugen.
 
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
byzantinische Kultur · Byzantinisches Reich · Ostkirchen
 
 
F. Dvornik: Byzanz u. der röm. Primat (a. d. Frz., 1966);
 
Tomos agapis. Dokumentation zum Dialog der Liebe zw. dem Hl. Stuhl u. dem Ökumen. Patriarchat, hg. im Auftrag des Stiftungsfonds Pro Oriente (Innsbruck 1978);
 J. Gill: Church union, Rome and Byzantium (London 1979);
 E. C. Suttner: Das wechselvolle Verhältnis zw. den Kirchen des Ostens u. des Westens im Lauf der Kirchengesch. (1996).

Universal-Lexikon. 2012.

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